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Die Macher von "Babylon Berlin", Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten, verraten im Interview, was die Zuschauer in der vierten Staffel erwartet, wie sie im Team arbeiten und ob sie ahnten, was sie bei diesem Projekt erwartet.
Die vierte Staffel von "Babylon Berlin" hat viele interessante Handlungsstränge, in denen die fiktiven Geschichten um Charlotte Ritter und Gereon Rath mit historischen Fakten verwoben werden. Es geht um den Stennes-Putsch, die Ringvereine, Boxsport. Erwarten Sie von ihren Zuschauern, dass sie die historischen Fakten dahinter recherchieren?
Henk Handloegten: Erwarten nicht, aber es ist auf jeden Fall toll, wenn man Neugierde entfachen kann.
Tom Tykwer: Es ist uns immer wichtig zu betonen, dass wir nicht einen übermäßig authentischen Film über eine bestimmte Epoche machen, sondern eine möglichst plausible Version unserer Vorstellung davon. Wir nehmen uns gewisse Freiheiten heraus, glauben aber, dass wir mit dem Material - mit dem wir uns seit mehr oder weniger zehn Jahren fast ausschließlich beschäftigen - verantwortungsvoll genug umgehen. Das ist auch einer der interessanten Aspekte an dieser Arbeit: Wie macht man einen wirklich mitreißenden Film, der aber nicht erbsenzählerisch ist.
Handloegten: Der aber auch nicht kontrafaktisch ist. Es geht nicht darum, irgendwas herbei zu fabulieren, das so überhaupt nicht denkbar gewesen wäre. Es geht immer darum, dass es triftig ist.
Tykwer: Beim Stennes-Putsch zum Beispiel denkt man, das kann ja gar nicht wahr sein, wie wenig beleuchtet es ist, dass es innerhalb der Nazis diese offenen Machtkämpfe gab, wie komplex und widersprüchlich die Zeit war.
Eine ebenfalls reale Person, die gegen Ende der vierten Staffel auftaucht, ist der Boxer Johann "Rukeli" Trollmann. Sie haben eine ergreifende Szene bei einem Boxkampf inszeniert, die auch so ähnlich stattgefunden hat.
v. Borries: Das ist eine unserer Triebfedern bei dieser Arbeit von Anfang an gewesen: bestimmte Figuren aus der Vergessenheit zu holen, sie ins Licht zu stellen und sie zu Handelnden zu machen. Wie zum Beispiel den Anwalt Hans Litten oder eben den Boxer Rukeli Trollmann. Beide starben im KZ.
In der vierten Staffel kommt der Amerikaner Abraham Goldstein nach Berlin auf der Suche nach einem Diamanten. Er besucht seine Familie im Scheunenviertel und man taucht erstmals in die Welt des jüdischen Stadtteils ein.
Tykwer: Das ist ein wichtiger Aspekt gewesen, es war jetzt sehr notwendig und wichtig in diese Welt einzutauchen, die so ein substanzieller Bestandteil der Stadt war und das Stadtleben geprägt, befruchtet und inspiriert hat, sozusagen eine Welt in einer Welt war. Für uns war es gut, dass es die Figur des Goldstein gibt, der von außen reinkommt und uns dadurch in diese Welt reinzieht.
Und man möchte den Menschen dort zurufen: "Lauft weg!"
Das ist das extremste Beispiel auf dem Spektrum, dessen wir uns bewusst sind, da wir ja einerseits den Film gucken und dabei in der Immersion, im Moment, sein wollen, aber gleichzeitig nicht anders können als zu wissen, was all den Menschen bevorsteht. Das bezieht sich aber auf alle Figuren. Eigentlich wissen wir nicht, wie es mit ihnen weitergeht, niemand kann es vorhersehen. 1930 war die gesellschaftliche Moral, die Substanz, viel komplizierter und noch im Werden, als dass man sagen könnte, es stand auf solidem Grund - wie wir das heute gerne über uns behaupten. Wir sind heute hoffentlich nicht ganz so anfällig wie vor 100 Jahren.
v. Borries: Ich möchte betonen, wir haben zuvor schon 28 Episoden daran gearbeitet, diesen speziellen jüdisch-deutsch geprägten Geist in unserer Serie zu verankern. Wir wollten einen Geist zum Klingen bringen, der in Text, Musik und Kunst diese Stadt und dieses Land geprägt hat, und den die Deutschen in den 30er-Jahren komplett vernichtet haben. Das war die kulturelle Stimme Deutschlands, deutsch-jüdisch geprägter Intellekt, Schauspieler, Künstler, Autoren, Filmemacher.
Wie entscheiden Sie als Team, diesmal erweitert um die Autorinnen Bettine von Borries und Khyana El Bitar, welche Aspekte in die Serie kommen und welche nicht?
Handloegten: Das muss man sich als sehr dynamischen Prozess vorstellen. Das ist nicht so wie beim Zentralrat der KPdSU, dass wir zusammensitzen und einen Fünf-Jahres-Plan entwickeln, denn das führt zu gar nichts. Die Figuren entwickeln ein Eigenleben, manches wird geschrieben, fliegt raus, kommt wieder rein.
v. Borries: Was das Team betrifft: Es ist so, dass wir einander zuhören und vertrauen. Wenn einer ein besonderes Steckenpferd hat, gelingt es ihm meist, die anderen auch zu befeuern. Durch die Koautorinnen kamen frische Zellen, frische Gedanken dazu. Und man hat den Ansporn, dass die anderen später sagen: "Gut, dass du dich da durchgesetzt hast!". Henk war zum Beispiel todunglücklich als wir beim letzten Mal das "Cabaret der Namenlosen" rausgestrichen haben - wie gut passte es jetzt in die neue Staffel.
Handloegten: Es gibt immer Themen, die sich aufdrängen, weil die Gesellschaft damals davon so besessen war. Das sind in der vierten Staffel zum Beispiel das Boxen und Tanzen, beides als sportlicher Überlebenskampf. Das nicht zu erzählen, wäre seltsam gewesen.
Sie erwähnten, dass Sie sich schon seit fast zehn Jahren mit "Babylon Berlin" beschäftigen - haben Sie geahnt, worauf sie sich einlassen?
Tykwer: Wir haben es breitbeinig behauptet und uns so vorgenommen als wüssten wir was uns erwartet, aber natürlich kann man nicht im mindesten sagen, dass wir das wussten.
v. Borries: Ich erinnere mich, Tom, du hast ganz am Anfang zu uns gesagt‚ "wenn es gut läuft, sitzen wir hier in zehn Jahren immer noch". Here we are!
Tykwer: Damals haben wir darüber gelacht, weil das für Filmemacher unvorstellbar ist. Die große Verführung für uns drei war, dass wir vielleicht einen 60-stündigen Film machen dürfen - das ist für einen Filmemacher was Verrücktes. Ein großer Film, wie ein ganz dicker Roman.